
Am 1. August 1948 erschien im Verlag Henri Nannen GmbH, Hannover, unter Zulassung Nr. 109 der Militärregierung und mit einem Verkaufspreis von 40 Pfennig das 16-seitige 1. Heft im 1. Jahr der Zeitschrift „Der Stern“ – damals noch mit dem Untertitel „Illustrierte Zeitschrift für junge Menschen“. Interessant bei letzterem die typographische Hervorhebung des Wortes „Illustrierte“, das sich ab dem frühen 20. Jahrhundert als fester Topos durchgesetzt hat, als nach und nach verstärkt Zeitschriften wie die „Arbeiter Illustrierte Zeitung (AIZ)“ publiziert wurden. Und wie man dem Impressum entnehmen kann, war der Stern die Nachfolge-Zeitschrift des „Zick Zack“ – marketingtechnisch sicherlich eine kluge Namensänderung.* (Ach ja, und für die Leser in der Zukunft: „Pfennig“ war mal eine Währungsform in einem Zeitalter, das man heute als „Digitale Steinzeit“ bezeichnen könnte…)
Auf dem Titelbild (Achtung: Partywissen für Fortgeschrittene!): Hildegard Knef und der Kommentar: „Der Stern unserer Zeit ist kein extravaganter Star. Natürliche Anmut bewundern wir an Hildegard Knef.“ – Sehr apart gesagt.
Auf der Rückseite ein satirischer Artikel zu den Vorkommnissen um den damaligen Skandalfilm „Der Apfel ist ab“ (Regie: Helmut(h) Käutner; als Adam und Eva: Bobby Todd und Bettina Moissi), der die Vertreibung aus dem Paradies satirisch thematisiert – was von Anfang an auf Widerstand von Seiten der Kirche, wohl insbesondere der katholischen, stieß. Bei den Dreharbeiten zum Film schlich sich ein junger Mann in den Mitarbeiterstab ein, der dann ein Drehbuch entwendete und sich schließlich als Münchner Jesuitenpater Gritschneder entpuppte. In der Folge kam es zu köstlichen Auseinandersetzungen zwischen Käutner und der Katholischen Kirche:
Käutner drohte, den Diebstahl anzuzeigen, woraufhin ihm zugesichert wurde, die Kirche würde keine Einwände gegen den Film erheben, würde Käutner auf die Anzeige verzichten. Aber es stellten inzwischen alle auf Stur, so dass es bis hin zu Eingaben an die Militärregierung und zu öffentlichen Protesten kam. Ein Versuch zur Versöhnung von Seiten Käutners, in Form einer Einladung an den Münchner Bischof zu den Dreharbeiten, endete damit, dass ausgerechnet besagter Pater Gritschneder zu dem Termin erschien, der bei der Gelegenheit von Käutner wild beschimpft worden sein muss. Jedenfalls wurde nun wiederum Käutner von Seiten des Münchner Klerus wegen Beleidigung und Verleumdung angezeigt. Käuter drohte schließlich damit, Deutschland zu verlassen und ein Angebot nach Hollywood anzunehmen – was er dann doch nicht tat und stattdessen irgendwie den Film fertigstellte.
Zurück geht der Film übrigens auf ein 1935 verfasstes Programm des akademischen Kabaretts „Die Nachrichter“ (Käutner war eines der Mitglieder), das nicht mehr aufgeführt werden konnte, da die Truppe einem Verbot der Nazis zum Opfer fiel. 1938/39 kürzte Käutner das Stück zu einem Einakter, das durch das „Kabarett der Komiker“ zur Aufführung kam. Der Film wiederum basiert auf dem ursprünglichen Programm, wobei Bobby Todd der einzige „Nachrichter“ war, der als Schauspieler mitwirkte.
Der Inhalt des Stern-Hefts ist eine, wie man so schön sagt, bunte (wenn auch derzeit nur in Duoton gedruckte) Mischung von Artikeln. Neben ein bisschen Tratsch und Klatsch, Sport und Prominenz, reflektiert die Mehrheit der Beiträge die politische und soziale Situation im Nachkriegsdeutschland. So z.B. der Artikel „‘Heim ins Reich‘ – Arm ins Heim“ über Kriegsheimkehrer oder der als Fortsetzung angekündigte Bericht „Versuch’s noch mal mit uns“ (Copyright Rowohlt-Verlag Stuttgart, also derzeit auch als „Rohwohlt Rotations Roman (RO-RO-RO)“ erschienen – diese waren zuerst im Format und auf dem Papier von Zeitungen gedruckt, später im Taschenbuch-Format) von Dieter Meichsner über seine Zeit als sogenannter „Werwolf“, also faschistischer Endkämpfer in den letzten Kriegsmonaten. Außerdem, unter der Überschrift „Hat die deutsche Frau Versagt?“, ein sehr interessanter Kommentar einer Journalistin, die sich Jo nennt, den wiederum ein ausführlicher Kommentar der Redaktion begleitet. In ihm widmet sich Jo moralischen Fragen, primär dem „Verhalten der Geschlechter zueinander“ und insbesondere den kontrovers diskutierten bis stark angefeindeten Beziehungen deutscher junger Frauen zu farbigen GIs. Dabei kommt sie zu diesem bemerkenswerten Schluss:
„Würde er (gemeint ist der männliche Kritiker; MB) sich aber die Mühe machen, jene Mädchen zu fragen (wie wir es getan haben), so würde er hören, daß die einfache menschliche Güte, die Hilfsbereitschaft und Zartheit gerade dieser amerikanischen Bürger verbunden mit ihrem aus eigener Erfahrung stammenden Verständnis für unsere Not ihnen die Neigung der deutschen Mädchen gewonnen hat.
Krankt nicht das deutsche Familienleben seit langem am falschen Heroismus, an der sogenannten ‘Sachlichkeit‘, an der Rücksichtslosigkeit, am Grobianstil? Ja, darüber sollte man nachdenken, man käme dann vielleicht vom gegenseitigen Sichbeschuldigen zu einem neuen besseren Miteinanderleben.“
Dies scheint mir ein guter Hinweis, dass man die Entstehung des faschistischen Terrors auch mit patriarchalen Familienstrukturen und der Erziehung zum bedingungslosen Gehorsam zusammendenken muss.
* Erst vor Kurzem stieß ich auf die Publikation „Von der Stern-Schnuppe zum Fix-Stern. Zwei deutsche Illustrierte und ihre gemeinsame Geschichte vor und nach 1945“ (Herbert von Halem Verlag, Köln 2014) von Tim Tolsdorff, in der der Autor detailliert die tatsächliche Entstehungsgeschichte, und vor allem auch die von Henri Nannen selbst betrieben Legendenbildung darum herum, dokumentiert und diskutiert. Empfehlung!
(Anmerkung: Ursprünglich sollten diesen Artikel Scans der Titel- und der Rückseite begleiten. Vorsichtshalber bat ich beim Stern um eine Genehmigung, die mir von einer Dame vom Leser-Service leider rasch und bestimmt, aber – wie ich hervorheben möchte – sehr freundlich verweigert wurde, da de Stern grundsätzlich keinen Inhalt des Stern für die Internet-Nutzung außerhalb der Websites des Verlags freigebe. – Ja, der redlich arbeitende Kulturwissenschaftler hat es schwer… Eine Ansicht der betreffenden Seiten ist also nur in situ, bei einem Glas Wein und, wenn gewünscht, einer Schallplatte der Knef möglich – auch nett!)