Das Wesentliche alles Schrecklichen. Fritz Steisslingers Tagebuchaufzeichnungen von der Westfront 1916/17

Fritz Steislinger_Kriegstagebuch_online

Zum Jahreswechsel 1915/16 kam der damals 25-jährige Maler Fritz Steisslinger – nach einmonatigem Heimaturlaub; zuvor war er an der Ostfront stationiert, dort aber nur am Rande in das Kriegsgeschehen involviert – an die Westfront, wo er zuerst bei Ypern, dann an der Somme im Kriegseinsatz war. Im Schützengraben und inmitten von Kämpfen führte er ausführlich Tagebuch. Unzensiert beschreibt Steisslinger darin den Kriegsalltag, das Leben und Sterben im Schützengraben und im Gefecht sowie das Miteinander der Soldaten in teils sachlichen, teils lakonischen, teils zynischen Worten. Darüber hinaus sind regelmäßig Reflexionen der eigenen Befindlichkeit, Phantasien, Beobachtungen eingestreut, die Fritz Steisslinger mal im Freudentaumel, mal in tiefer Niedergeschlagenheit zu Papier bringt.

Diese Aufzeichnungen habe ich für den Katalog zu aktuellen, sehr sehenswerten Ausstellung Bildgewalt – Darstellungen wischen Wahn & Wirklichkeit zum 30jährigen Galeriejubiläum der Städtischen Galerie Böblingen (noch bis 2. April 2018) ausführlich analysiert. Bereits verschiedentlich habe ich mich mit dem Werk Fritz Steisslingers in Zusammenarbeit mit der Nachlassverwalterin Frederica Steisslinger befasst. (Unter anderem habe ich das Buch Sehnsucht Brasilien. Der Maler Fritz Steisslinger auf Brasilienreise 1934 herausgegeben und in der Folge mehrere Ausstellungen dazu in diversen Kooperationen kuratiert.) So war es nur folgerichtig, im Rahmen eben dieses Ausstellungsthemas seine Kriegstagebücher aus dem 1. Weltkrieg und deren Stellung in der persönlichen und künstlerischen Entwicklung Fritz Steisslingers einmal näher zu betrachten.

Hier die Druckversion dieses Essays inklusive einiger Auszüge aus dem Tagebuch: Fritz Steisslinger_Kriegstagebuch_Druckversion

Und hier mein weiterer Artikel zu diesem Thema: Schwaebische Heimat_2018_3

Die gesellschaftspraktische Virtualität

Futurion

Mitte 1996 nahm ich an einem vom Forum Futurion ausgeschriebenen Essay-Wettbewerbs mit dem Thema „Die Informationsgesellschaft im neuen Jahrtausend – Bedrohung oder Chance für Mensch und Kultur?“ teil. Hinter selbigem „Futurion“ standen wohl, neben der Uni Witten-Herdecke, Thyssen und Wirtschaftswoche – was ich erst wieder recherchieren musste, weil ich außer einer Kopie meines Beitrags keine Unterlagen finde (ich denke, ich bin auf den Wettbewerb über ein Plakat an der Uni aufmerksam geworden, und mir ziemlich sicher, nie eine Rückmeldung zu meinem eingereichten Text erhalten zu haben), und wobei ich lustiger weise über den Online-CV der damaligen 1. Preisträgerin stolperte, die dort den Titel des Wettbewerbs allerdings anders angibt, als in meinem Beitrag vermerkt. Verdammt, hab ich ihn womöglich wegen eines Formfehlers nicht gewonnen? Na ja, vielleicht hätte ich in diesem Umfeld aber auch einfach nicht gleich mit Marx ins Haus fallen sollen. :-) Jedenfalls hatte ich mir redlich Mühe gegeben und eigentlich auch nicht nur Unsinn geschrieben. Interessant scheinen mir in meinem Essay vor allem die „Science-Fiction-Teile“ (wie es eine Freundin und Kommilitonin damals in ihrem schriftlichen Feedback ausdrückte – erfreulicherweise fand ich wenigstens dieses meiner Kopie angeheftet). Insbesondere wenn man sie mit der heutigen Realität, exakt 20 Jahre später, vergleicht. Und eben diese historische Perspektive macht die Lektüre meines Essays – denke ich zumindest – weiterhin recht interessant. Hier wäre er: Die gesellschaftspraktische Virtualität

Dichte Beweisführung

Die Zigarre

Gut 20 Jahre nach Aufnahme und knapp 12 Jahre nach Abschluss meines Studiums der Empirischen Kulturwissenschaft am Ludwig-Uhland-Institut der Eberhard Karls Universität Tübingen sitze ich dieses Sommersemester 2016 erneut für zwei Stunden der Woche im dortigen Seminarraum – diesmal als nebenberuflicher Freier Lehrbeauftragter. Ich bin nun wahrhaftig nicht sentimental gegenüber der Vergangenheit, aber es entlockt mir doch ein Schmunzeln, dass ich bereits 1998/99 im Rahmen unserer Fachschaftsarbeit über einen Artikel in der traditionellen, aber unregelmäßig erscheinenden Fachschaftszeitschrift „jüngstes gerücht“ versuchte, den EKW-Noviz*innen zu erklären, wie meiner Ansicht nach die EKW funktioniert. Und weil dieser Text sich eigentlich noch immer ganz amüsant liest, und weil es darin vornehmlich auch um den von mir sehr geschätzten Peter „Columbo“ Falk geht, veröffentliche ich ihn hiermit nochmals: Dichte Beweisführung

Bericht einer Ferien-Fahrt mit dem Auto in die Schweiz im Jahr 1950

Titelseite_farbigInnenseite_farbigBenzinliste_farbig

Auf einem Flohmarkt in Böblingen fand ich vor einigen Wochen einen handschriftlichen Bericht einer Ferienreise in die Schweiz von 1950. Dieser wurde in einem einfachen, grauen, linierten DIN A5-Schulheft niedergeschrieben.
Das Titelblättchen auf dem Umschlag des Hefts und die ersten beiden Seiten sind mit einer anderen, schwerer lesbaren Handschrift geschrieben als der eigentliche Bericht, wobei (soweit ich das entziffern kann) auf den ersten beiden Seiten wohl auch nur die geplante Abfolge der auf der Reise zu durchfahrenen Orte festgehalten ist – zumindest ergibt sich die erste Differenz zum Reisebericht bereits bei der geplanten Abfahrtszeit (8 Uhr gegen 12:30 Uhr), und auch der für den vierten Tag der Reise geplante „Ruhetag“ fiel den Umständen der tatsächlichen Reise zum Opfer.
Innen auf der Umschlagseite findet sich die etwas kryptische Notiz „Ditzinger Flaschenbierhandel Guldmann lange Anwarte“ (die letzten drei Worte lese ich zumindest so), m.E. geschrieben in der Handschrift des ausführlichen Reiseberichts. Dieser beginnt auf Seite drei und nimmt insgesamt 14 ½ Seiten ein. Ganz hinten im Heft finden sich zudem Aufstellungen der täglichen Ausgaben sowie des Benzin- und Ölverbrauchs und der entsprechenden Kosten.

Die an der Reise Beteiligten sind namentlich nicht zu identifizieren, die Autoren des Berichts müssen jedoch aus Sindelfingen stammen. Auch wenn der Reise-Startort in beiden Texteilen mit Ebingen angegeben wird, so endet die Heimfahrt jeweils dort, im langen Bericht mit „Sdlfg.“ abgekürzt. (Das korrespondiert auch mit dem Fundort Flohmarkt Böblingen.)
Wie viele Personen an der Fahrt beteiligt waren, ist ebenfalls nicht ganz eindeutig zu entscheiden. Auf jeden Fall ein Ehepaar mit mindestens einem Sohn. Dazu kommt entweder eine weitere männliche Begleitperson oder ein Ehepaar – möglicherweise eben aus Ebingen stammend, was der Start und das zwischenzeitliche Ende der Reise nahelegen könnten. An einer Stelle des Berichts ist recht eindeutig von „der Ehefr. mit ihrem/n Jungen“ die Rede, gleichzeitig aber von „die Ehemänner“. Das „der“ entspricht in der Schreibweise eindeutig der desselben Wortes an anderen Stellen, könnte aber ein Schludrigkeitsfehler sein (davon finden sich einige in dem Bericht) und eben „den [Ehefr.]“ meinen. Dafür spricht zudem, dass am Ende des Heftes die Benzin- und Ölkosten durch vier geteilt werden – dass diese auf vier Erwachsene umgelegt werden, scheint mir nachvollziehbarer, als dass dies auf drei Erwachsene und ein Kind geschähe.

Die Reise selbst beginnt mit einer Enttäuschung, als beim Grenzübertritt in die Schweiz deutlich wird, dass nur 40 Mark anstatt der ursprünglich angenommenen 100 Mark in Schweizer Franken umgetauscht werden dürfen und das überzählige deutsche Geld beim Zoll eingelagert werden muss. Dementsprechend ist die ganze Reise von Geldmangel gekennzeichnet, den man aber immer wieder durch kluge Improvisation wettmacht. So bringt unsere kleine Reisegesellschaft es z.B. in Zermatt fertig, „soviel Deutsche“ zu einer Gruppe zusammenzubringen, dass man einen günstigeren Gruppenpreis für die geplante weitere Zahnradbahnfahrt zum Gornergrat aushandeln konnte. Auch die Quartiersuche gestaltet sich schwierig, und ein Mal zwingt eine Autopanne zu einem ungeplanten Aufenthalt. Unbeirrt von allem genießt die Gruppe jedoch die Reise, und der Bericht endet dementsprechend mit einem sehr positiven Gesamtfazit.

Den ganzen Bericht habe ich transkribiert und danach leicht redaktionell überarbeitet, ohne an der Ur-Version zu viel zu verändern. Korrekturen betreffen, der besseren Lesbarkeit wegen, insbesondere die Zeichensetzung, ganz eindeutige Grammatik- bzw. Rechtschreibfehler sowie ganz wenige gröbere Fehler im Satzaufbau, die ich versucht habe auszugleichen, ohne zu sehr in den Sprachduktus einzugreifen. Die ein oder andere nicht wirklich entscheidbare Stelle habe ich mit dem eventuell korrekten Wort oder auch nur einem Fragezeichen in eckigen Klammern kommentiert. Ebenso habe ich vermutlich fehlerhafte Ortsnamen per eckigen Klammern auf die mir bekannte, aktuelle Schreibweise hin korrigiert, wobei ich bei zwei Angaben von Berg-Pässen trotz gedrucktem Atlas und digitaler Suchmaschine bislang nicht herausfinden konnte, wie der jeweilige Name richtig lauten müsste (Hinweise dazu werden gerne entgegen genommen).

Und hier nun also der Bericht als PDF: Eine Ferienfahrt in die Schweiz im Jahr 1950

Die „tabustrierte“ und die Sexbombe

tabustrierte_Titel 1_verkleinerttabustrierte_Titel 2-verkleinert

Auf einem Büchermarkt habe ich einmal eine kleine satirische Alternativpublikation namens „tabustrierte“ gefunden, die im ersten Jahrgang 1954 in Köln von Erich Denker, Ludwig und Hans Herbert Blatzheim sowie Magda Schneider herausgegeben wurde. Ich besitze das 4. Heft dieses ersten Jahrganges, die „superbombensondernummer“. Das 16-seitige Heft, der Text ist durchgehend in Kleinbuchstaben gehalten, lässt sich zur Hälfte von vorne, zur anderen Hälfte von hinten lesen, besitzt damit also auch zwei Titelblätter. Auf dem einen Titelblatt ist das Photo zweier Models auf einem Schiff abgebildet, das Bild trägt die Bildlegende „wasserstoffbombe“. Auf dem anderen Titelblatt findet sich ein sitzendes Pin-up-Model, die Legende lautet hier: „radioaktive sexbombe mit richtstrahler nach übersee“. Auch ein großer Teil der Texte und weiterer Bildlegenden spielt mit den Begriffen Sexbombe und Atom- bzw. Wasserstoffbombe. Repräsentativ für den satirisch-protestierenden Unterton mag folgendes Zitat aus dem leid-artikel stehen: „dieweilen dieses heft ansonsten der freude gewidmet ist, ziemet es sich kaum angesichts der ungestümen fortschritte einer wildgewordenen technik, einen freud-artikel zu schreiben. lasset uns wehmütig hinter uns blicken in jene zeiten, da man wasserstoff nur in superoxydierter form zum bleichen weiblichen haarschmuckes verwendete.“

tabustrierte_6bombe_verkleinerttabustrierte_Innenseiten_verkelinerttabustrierte_Nahkampf-Atombomben_verkleinert

Der Begriff „Sexbombe“ wurde meinen Recherchen nach tatsächlich um 1950 in Deutschland geprägt. Dr. Heinz Küpper merkt zwar in „Handliches Wörterbuch der deutschen Alltagssprache“ (Hamburg/Düsseldorf 1968) an, der Begriff sei um 1950 aus Nordamerika übernommen worden, aber aus der ausführlichen Version „Wörterbuch der deutschen Umgangssprache“ (Stuttgart/Dresden 1987) nahm er diesen Verweis wieder heraus. Der Begriff ist eine Zusammensetzung des 1945 aus dem Englischen übernommenen Wortes „Sex“ und der in Deutschland bereits seit 1930 gebräuchlichen Bezeichnung „Bombe“ für eine „Frau mit üppig entwickeltem Busen“ (ebd.: 122). In amerikanischen Slang-Wörterbüchern konnte ich den Begriff nicht finden, daher nehme ich an, dass der Begriff erst seit Tom Jones Hit „Sex Bomb“ von 1999 auch im englischsprachigen Raum wirklich populär ist.

Tamburin. Tanz und Schönheit in aller Welt

Tamburin 2_Titel_verkleinertTamburin 5_Rückseite_verkleinertTamburin 5_Titel_verkleinert

Ein aktueller Neuzugang in meiner kulturwissenschaftlichen Sammlung sind zwei Ausgaben der Zeitschrift „Tamburin. Tanz und Schönheit in aller Welt“ von 1950. Herausgegeben wurden sie im Tamburin-Verlag Karl Hofmann, Schorndorf bei Stuttgart von eben Karl Hofmann, Redaktion: Robert Jeserich und Carl Rinke.

Nicht nur sind sie ein schönes Beispiel dafür, wie es bereits in beginnenden Wirtschaftswunder-Zeiten offensichtlich möglich war, in Eigenregie solche Kleinzeitschriften zu allen möglichen kulturellen Themen zu veröffentlichen – im Prinzip Vorläufer zu Blogs wie diesem –, sondern auch wie sich über solche künstlerischen Zeitschriften nach und nach die Aktphotographie wieder in den öffentlichen Alltag einschlich. Bereits in der Urzeit der Photographie war es ja Usus, photographische Aktdarstellungen als „Vorlagen für Künstler“ zu vervielfältigen und zu publizieren. Nicht umsonst also trägt diese Zeitschrift das „und Schönheit“ im Untertitel.

In diesen beiden Ausgaben findet sich u.a. eine recht zusammenhanglos eingefügte Photographie von Werner Schmölcke. Schmölcke publizierte später, in den 1960ern vier Bände mit Aktphotos beim Hans E. Günther Verlag in Stuttgart – derzeit neben der Europäischen Bücherei Hieronimi, Bonn wohl einer der wichtigsten deutschen Verlage für Erotika und Sittengeschichte. Zahlreiche weitere Akte, immerhin thematisch im Bereich Tanz verortet, stammen von Sigfried Enkelmann, der zuerst als Autodidakt, ab 1927 dann als Schüler und später enger Mitarbeiter von C.M. Nolte in Berlin tätig war und an dessen photochemischen Versuchen mitwirkte. Enkelmann galt derzeit als Spezialist auf dem Gebiet der Bewegungsaufnahme.

Eine kurze Photostrecke ist darüber hinaus im Heft 5/50 Rosita Perez gewidmet, die mit Tanz wohl nur insofern zu tun hatte, dass sie Teil einer gewissen „Paris-Floor-Show“ war, wohl einen Revue, – diese ist zudem ein schönes Beispiel für 1950er-Exotica (Photos: Keystone) :

Rosita Perez 1_verkleinertRosita Perez 3_verkleinertRosita Perez 2_verkleinert

Neben Artikeln zum Bereich des klassischen Balletts und der Geschichte des Tanzes finden sich Artikel wie „Über die Pikanterie. Versuch, deren Reiz einer Tänzerin zu offenbaren“, „Cancan – Rausch des Dessous. Ein Reiztanz vom Fasching neu belebt“ oder „Kleine Weltgeschichte des Nachtlokals“ die für eine höfflich-dezent libertine Lebensweise stehen, ebenso wie Aphorismen und Zitate die unter den (in diesen Heften) Überschriften „Weisheit des Sinnlichen“ und „Liebes-Spielereien“ versammelt sind. Zwei dieser Weisheiten, von Wendelin Ueberzwerch, mögen beispielhaft als Abschluss diese Eintrags stehen, da sie den Geist dieser Magazine recht gut wiedergeben: „Die Sinne sind die Jakobsleiter zum Himmel der Liebe.“ Und: „Es ist eine erhabene Sache, daß man die Keuschheit in Gestalt einer nackten Göttin darstellen kann. Schmutzfinken werden so etwas nie verstehen.“

(P.S.: Ausführliches zur Sexual- und Sittengeschichte nach dem Zweiten Weltkrieg findet sich übrigens hier auf dieser Webseite in den entsprechenden Kapiteln meiner Arbeit „Pop, Anarchie und Zeitgeist“.)

Die Knef, Der Stern und Der Apfel ist ab

Aus dem Paradies

Am 1. August 1948 erschien im Verlag Henri Nannen GmbH, Hannover, unter Zulassung Nr. 109 der Militärregierung und mit einem Verkaufspreis von 40 Pfennig das 16-seitige 1. Heft im 1. Jahr der Zeitschrift „Der Stern“ – damals noch mit dem Untertitel „Illustrierte Zeitschrift für junge Menschen“. Interessant bei letzterem die typographische Hervorhebung des Wortes „Illustrierte“, das sich ab dem frühen 20. Jahrhundert als fester Topos durchgesetzt hat, als nach und nach verstärkt Zeitschriften wie die „Arbeiter Illustrierte Zeitung (AIZ)“ publiziert wurden. Und wie man dem Impressum entnehmen kann, war der Stern die Nachfolge-Zeitschrift des „Zick Zack“ – marketingtechnisch sicherlich eine kluge Namensänderung.* (Ach ja, und für die Leser in der Zukunft: „Pfennig“ war mal eine Währungsform in einem Zeitalter, das man heute als „Digitale Steinzeit“ bezeichnen könnte…)

Auf dem Titelbild (Achtung: Partywissen für Fortgeschrittene!): Hildegard Knef und der Kommentar: „Der Stern unserer Zeit ist kein extravaganter Star. Natürliche Anmut bewundern wir an Hildegard Knef.“ – Sehr apart gesagt.

Auf der Rückseite ein satirischer Artikel zu den Vorkommnissen um den damaligen Skandalfilm „Der Apfel ist ab“ (Regie: Helmut(h) Käutner; als Adam und Eva: Bobby Todd und Bettina Moissi), der die Vertreibung aus dem Paradies satirisch thematisiert – was von Anfang an auf Widerstand von Seiten der Kirche, wohl insbesondere der katholischen, stieß. Bei den Dreharbeiten zum Film schlich sich ein junger Mann in den Mitarbeiterstab ein, der dann ein Drehbuch entwendete und sich schließlich als Münchner Jesuitenpater Gritschneder entpuppte. In der Folge kam es zu köstlichen Auseinandersetzungen zwischen Käutner und der Katholischen Kirche:
Käutner drohte, den Diebstahl anzuzeigen, woraufhin ihm zugesichert wurde, die Kirche würde keine Einwände gegen den Film erheben, würde Käutner auf die Anzeige verzichten. Aber es stellten inzwischen alle auf Stur, so dass es bis hin zu Eingaben an die Militärregierung und zu öffentlichen Protesten kam. Ein Versuch zur Versöhnung von Seiten Käutners, in Form einer Einladung an den Münchner Bischof zu den Dreharbeiten, endete damit, dass ausgerechnet besagter Pater Gritschneder zu dem Termin erschien, der bei der Gelegenheit von Käutner wild beschimpft worden sein muss. Jedenfalls wurde nun wiederum Käutner von Seiten des Münchner Klerus wegen Beleidigung und Verleumdung angezeigt. Käuter drohte schließlich damit, Deutschland zu verlassen und ein Angebot nach Hollywood anzunehmen – was er dann doch nicht tat und stattdessen irgendwie den Film fertigstellte.
Zurück geht der Film übrigens auf ein 1935 verfasstes Programm des akademischen Kabaretts „Die Nachrichter“ (Käutner war eines der Mitglieder), das nicht mehr aufgeführt werden konnte, da die Truppe einem Verbot der Nazis zum Opfer fiel. 1938/39 kürzte Käutner das Stück zu einem Einakter, das durch das „Kabarett der Komiker“ zur Aufführung kam. Der Film wiederum basiert auf dem ursprünglichen Programm, wobei Bobby Todd der einzige „Nachrichter“ war, der als Schauspieler mitwirkte.

Der Inhalt des Stern-Hefts ist eine, wie man so schön sagt, bunte (wenn auch derzeit nur in Duoton gedruckte) Mischung von Artikeln. Neben ein bisschen Tratsch und Klatsch, Sport und Prominenz, reflektiert die Mehrheit der Beiträge die politische und soziale Situation im Nachkriegsdeutschland. So z.B. der Artikel „‘Heim ins Reich‘ – Arm ins Heim“ über Kriegsheimkehrer oder der als Fortsetzung angekündigte Bericht „Versuch’s noch mal mit uns“ (Copyright Rowohlt-Verlag Stuttgart, also derzeit auch als „Rohwohlt Rotations Roman (RO-RO-RO)“ erschienen – diese waren zuerst im Format und auf dem Papier von Zeitungen gedruckt, später im Taschenbuch-Format) von Dieter Meichsner über seine Zeit als sogenannter „Werwolf“, also faschistischer Endkämpfer in den letzten Kriegsmonaten. Außerdem, unter der Überschrift „Hat die deutsche Frau Versagt?“, ein sehr interessanter Kommentar einer Journalistin, die sich Jo nennt, den wiederum ein ausführlicher Kommentar der Redaktion begleitet. In ihm widmet sich Jo moralischen Fragen, primär dem „Verhalten der Geschlechter zueinander“ und insbesondere den kontrovers diskutierten bis stark angefeindeten Beziehungen deutscher junger Frauen zu farbigen GIs. Dabei kommt sie zu diesem bemerkenswerten Schluss:

„Würde er (gemeint ist der männliche Kritiker; MB) sich aber die Mühe machen, jene Mädchen zu fragen (wie wir es getan haben), so würde er hören, daß die einfache menschliche Güte, die Hilfsbereitschaft und Zartheit gerade dieser amerikanischen Bürger verbunden mit ihrem aus eigener Erfahrung stammenden Verständnis für unsere Not ihnen die Neigung der deutschen Mädchen gewonnen hat.
Krankt nicht das deutsche Familienleben seit langem am falschen Heroismus, an der sogenannten ‘Sachlichkeit‘, an der Rücksichtslosigkeit, am Grobianstil? Ja, darüber sollte man nachdenken, man käme dann vielleicht vom gegenseitigen Sichbeschuldigen zu einem neuen besseren Miteinanderleben.“

Dies scheint mir ein guter Hinweis, dass man die Entstehung des faschistischen Terrors auch mit patriarchalen Familienstrukturen und der Erziehung zum bedingungslosen Gehorsam zusammendenken muss.

* Erst vor Kurzem stieß ich auf die Publikation „Von der Stern-Schnuppe zum Fix-Stern. Zwei deutsche Illustrierte und ihre gemeinsame Geschichte vor und nach 1945“ (Herbert von Halem Verlag, Köln 2014) von Tim Tolsdorff, in der der Autor detailliert die tatsächliche Entstehungsgeschichte, und vor allem auch die von Henri Nannen selbst betrieben Legendenbildung darum herum, dokumentiert und diskutiert. Empfehlung!

(Anmerkung: Ursprünglich sollten diesen Artikel Scans der Titel- und der Rückseite begleiten. Vorsichtshalber bat ich beim Stern um eine Genehmigung, die mir von einer Dame vom Leser-Service leider rasch und bestimmt, aber – wie ich hervorheben möchte – sehr freundlich verweigert wurde, da de Stern grundsätzlich keinen Inhalt des Stern für die Internet-Nutzung außerhalb der Websites des Verlags freigebe. – Ja, der redlich arbeitende Kulturwissenschaftler hat es schwer… Eine Ansicht der betreffenden Seiten ist also nur in situ, bei einem Glas Wein und, wenn gewünscht, einer Schallplatte der Knef möglich – auch nett!)