Buchlounge_Heimat/Keine Heimat

Heimat

Ich hoffe, Ihr seid gut ins neue Jahr gestartet und habt nun Lust, auch ins neue Buchlounge-Jahr zu starten. Das diesmal mit einem thematisch komplementären Doppeltermin startet:

Wir beginnen am Freitag, dem 6. Februar 2015 um 20:30 Uhr (geöffnet ab 20 Uhr) mit einem ganz regulären Buchlounge-Termin zum weiten Feld Heimat. Beiträge jeder Art dazu sind herzlich willkommen, der Phantasie seien keinerlei Grenzen gesetzt. Bringt einfach eine Idee, Geschichte, Anekdote, ein Gedicht, Lied, was immer Ihr wollt mit und setzt Euch auf die Bühne und ins dortige, wie Ihr wisst sehr moderate, Scheinwerferlicht! Einen etwas ausführlicheren Beitrag zu Hesse in Tübingen hat dankenswerterweise Angelika Stroppa angekündigt. Und selbstverständlich steht meinerseits ein eher assoziativer Beitrag mit Musik ebenfalls fest.

Dem folgt, auf Initiative von Sandra Briehl, eine 5-Minuten-Benefiz-Lounge am Freitag, dem 20. Februar 2015, ab 19 Uhr im Club Voltaire, in der wir das Thema komplementär aufgreifen. Nicht wirklich inhaltlich, aber in Form einer Benefiz-Veranstaltung zu Gunsten von Arbeits- und Bildungsprogrammen des Asylzentrum Tübingen e.V.
Den Namen verdankt die 5-Minuten-Benefiz-Lounge der Idee dahinter: Im Zuge von 5-Minuten-Beiträgen werden unterschiedlichste Themengebiete von unterschiedlichen Gastrednern dargeboten. In freundlicher Atmosphäre, bei leichtem Essen, einem Glas Wein und Musik, kann im Anschluss der Kernveranstaltung auf die Beitragenden zugegangen werden, um das ein oder andere Thema individuell zu diskutieren.
Der Eintritt ist frei, Spendenkassen stehen bereit. Kommt vorbei und, ob im Gespräch, in der Musik oder in die eigenen Gedanken vertieft, genießt einen angenehmen Abend der Begegnung – für einen guten Zweck!

Und als abschließender Hinweis: Diesen Samstag um 11 Uhr wird im Künstlerbund Tübingen die Ausstellung „Kafka x 3“ von Gerhard W. Feuchter eröffnet, zu der die Einführung zu halten ich eingeladen wurde (Einladung Kafka x 3). Nicht nur deshalb, sondern grundsätzlich eine schöne Veranstaltung, um ins Wochenende zu starten!

Druckversion der Einladung: Buchlounge_Heimat_Keine Heimat

If I were a song

Brent Cash_How Strange It SeemsBrentCash_How Will I Know

Wäre ich ein Lied, dann sehr gerne eines auf einem Album von Brent Cash aus Athens, Giorgia. Nicht nur wüsste ich mich dort in allerbester Gesellschaft, ich würde auch auf dem großartigen Hamburger Label Marina Records von Frank Lähnemann und Stefan Kassel erscheinen sowie in einem von letzterem stilsicher gestaltete Cover stecken.

Brent Cash veröffentlichte dort bislang die beiden Alben „How Will I Know I’m Awake“ (2008) und „How Strange It Seems“ (2011) – und insbesondere letzteres ist wie dazu geschaffen, einen über die trübe Winterzeit in den Frühling hinüberzuretten. Kann man doch die Musik von Brent Cash unter das aparte Genre „Sunshine Pop“ subsumieren, das ursprünglich für amerikanische Musik der 1960er und 70er erfunden wurde, die ganz besonders sonnig und blumig daherkommt.

Und das beeindruckende an Brent Cash selbst: Über den Erfolg seiner Musik stellt er seine absolute Unabhängigkeit in den Produktionsmitteln – und veröffentlicht sie eben lieber auf einem liebevoll gepflegten, idealistischen und individualistischen Label, als sich einem großen Musikkonzern anzudienen. Dazu bemerkte er einmal, „dass ihm kommerzieller Erfolg nicht besonders wichtig sei. Er habe einen richtigen Job, und die Musik sei sein luxuriöses Hobby. ‚Sie macht mich glücklich.‘“* An diesem Glück teilzuhaben, lädt er uns mit seinen Alben ein.

„How Strange It Seems“ beginnt mit einer Trinität von Songs, die eine perfekte Pop-Single abgäben (und hätte ich ein paar Euro übrig, würde ich persönlich sie finanzieren wollen – vielleicht starte ich dazu ja noch eine kleine Crowdfunding-Initiative…).

Auf der A-Seite wäre „I Wish I Were A Song“, mit einem Intro, das an einen 1960er-Film-Soundtrack erinnert; dann ein paar ruhige Klavieranschläge, bevor das Lied nach und nach in voller Pop-Blüte aufbricht, mit einer opulenten Instrumentierung, die so manchem lächelnden Beach-Boy-Klassiker die Hand reicht, inklusive Surf‘s-Up-Elephant-Brass.

Auf der B-Seite zuerst das Stück „It’s Easier Without Her“, das sich in den Top-10-Himmel aller jemals erschienenen Songs über das alte Frau-Mann-Beziehungsspiel aufschwingt, getragen von Damenchor, Harpsichord und Trompete. Und den Abschluss bildete das instrumentale „I Can’t Love You Anymore Than I Do“, das jedem Retro-Spy-Movie als Titelsong zur Ehre gereichen würde und einen in 2:42 Minuten auf eine kleine musikalische Reise rund um die Welt mitnimmt.

Und so geht es weiter mit einer Kette brillanter Songs, bis hin zu „Don’t Turn Your Back On The Stars“ und der Mini-Oper „I Just Can’t Look Away“, die ein bisschen daherkommen, als spielten, sagen wir: die White-Album-Beatles Wagner und würden dann wiederum gecovert von Laibach.

Und das ganze Album endet, nach einem kurzen Epilog, mit einem sehr charmanten

„Plong“.

* Zitat: Christoph Dallach: „Geheimtipp Brent Cash. Ein luxuriöses Hobby namens Sunshine-Pop“, Spiegel Online, 03. Juni 2011; auch zu finden auf Brent Cashs eigener Webseite.

Die Würde des Menschen…

Die zweifelhafte Wuerde

Liebe Kinder,

es gab einmal eine Zeit, da galt Menschenwürde als ein Grundrecht. Und das galt für alle Menschen, ausnahmslos. Da verstand man die Gesellschaft als eine Solidargemeinschaft miteinander verbundener Menschen. Und die Politik hatte dafür zu sorgen, dass das gemeinsame Zusammenleben in diesem Sinne geregelt wurde.

Menschen, die ihre Arbeit, ihre Heimat, ihren Halt verloren hatten, galt weitgehend Mitleid für ihre zumeist unverschuldete, momentane Lebenssituation. Eben deshalb verstand man sie weiterhin als Teil dieser Solidargemeinschaft. Und man ließ ihnen ganz selbstverständlich die Hilfe zufließen, die notwendig war, um ihnen an erster Stelle eine weiterhin würdige Existenz zu ermöglichen, sie darüber hinaus jedoch langfristig wieder wirklich in die Alltagsstruktur der Gesellschaft einzugliedern. Dies zu regeln gab es Behörden, die als Mittel zum Zweck des Gemeinschaftswesens verstanden wurden. In diesem Sinne waren sie respektabel.

Und man sprach davon, dass man zwischenmenschliche Beziehungen „pflege“. Ja, so sagte man. Und meinte damit, dass solche Beziehungen es wert seien, achtsam behandelt zu werden. Man versuchte einen würdevollen Umgang unter- und miteinander zu pflegen. Von Angesicht zu Angesicht, von Gleich zu Gleich, oft im Gespräch, also im direkten Kontakt und in gegenseitiger Er-Kenntnis. Daraus entstand dann gegenseitiger Respekt.

Und, liebe Kinder, es gibt tatsächlich noch immer Menschen, die haben den Traum, dass den Menschen, allen Menschen diese respektvolle Würde zurückgegeben wird. Vor allem denen, die sich selbst maßlos entwürdigen, indem sie aus einer privilegierten Situation heraus gegen die treten, die sich in einer menschlichen Notlage befinden.

Euer Märchenonkel

Hinneigung zur Wuerde

Charlie Hebdo

Malewitsch_Das schwarze KreuzSelbstverständlich macht auch mich der Anschlag auf die Redaktion des Satire-Magazins „Charlie Hebdo“ betroffen: als Kulturschaffenden der Angriff auf die Presse- und Meinungsfreiheit, als Pazifisten der kaltblütige Mord. Nun, das ist die bittere Wirklichkeit.

Darüber hinaus sind es allerdings vor allem zwei Dinge, die ich in dem Zusammenhang als besonders bedrückend empfinde: Zum einen freilich, dass nun wieder all die üblichen Idioten ihr Gut-Böse-Weltbild bestätigt zu sehen meinen. Zum anderen der Gedanke, dass der Anschlag wiederum nichts anderes ist als Ausdruck eines Kampfes von Fanatikern gegen Fanatiker, der lückenlos der althergebrachten und falschen Systematik kulturell-politischen Denkens entspringt. Was ich wohl näher erklären muss.

Auch als Verteidiger jeder Meinungsfreiheit war ich nie ein Freund von jedwelchen Mohammed-Karikaturen. Zumindest wenn sie von sei es christlicher, sei es atheistischer Seite kommen. Politisch mögen sie in mancher Hinsicht ihre Berechtigung haben. Dennoch drückt sich darin eben auch die Missachtung einer anderen Kultur aus, die wie im Islam nun mal unter anderem ein Bilderverbot kennt. Und zwar von einer Seite aus, die diesem Glaubens- und Gedankensystem im Grunde nicht verbunden ist (im Gegensatz z.B. zu den Papst-Satiren der „Titanic“, die damit kulturintern agiert). Womit man also von Kulturimperialismus sprechen könnte. Womit mir das Beharren darauf, eben genau daran die Meinungsfreiheit festzumachen, doch ein gutes Stück weit befremdlich erscheint. Für mich steckt dahinter eine gewisse besserwisserische Arroganz. Und damit ein sich aufklärerisch gebärdender Rassismus. Ist die Frage doch, wie weit man eine ganze Kultur diffamieren darf, nur um ein paar idiotische Fanatiker zu treffen? Und wo ist dabei die Grenze zu einem eigenen, überheblichen Fanatismus bzw. zu eigenem totalitären Denken? Und so wird dann ganz schnell mal wieder der „Kampf der Kulturen“ ausgerufen.

Womit wieder der erste Punkt ins Spiel kommt: Wäre es nicht endlich an der Zeit, grundsätzlich dieses System von Gut/Böse, Richtig/Falsch, Schwarz/Weiß aufzubrechen? Das System von „einen Standpunkt haben“ und zu glauben, von dort aus meinen zu können, gar zu wissen, was „wirklich richtig“ ist? Anstatt andere Meinungen, Lebensweisen und andere kulturelle Verhaltensweisen pluralistisch zu tolerieren? (Und, nein, das schließt Mord als Verhaltensweise keinesfalls mit ein, weil Mord nur ein Ausdruck totalitären Denkens in seiner radikalisierten Form ist. Im Übrigen insbesondere auch, wenn er von Staatsseite aus, gegebenenfalls per ferngesteuerter Drone, also in völlig abstrahierter Form, gegenüber möglicherweise andersdenkenden Menschen verübt wird.) Also zuzugeben, dass die eigene Meinung eben auch nur relativ ist, gesellschaftlich, historisch etc. geprägt?

Ja, genau diese Diskussion im Sinne eines wahrhaftig und grundsätzlich humanistischen Denkens würde ich mir nun wünschen.

Markus