Corona tötet Kultur. Ein Appell zu anderer Achtsamkeit

Kulturtod

Sorry, aber ich muss mal eben in die Suppe spucken. Ja, das Folgende ist eine völlig subjektive, unausgewogene, einseitige, trotzige, nicht alle Seiten von vorne bis hinten abwägende Polemik, die sich somit voll in die Nesseln setzt. Der Narr bezieht jedoch gerne die Prügel für die Botschaft, Hauptsache es wird sich mit ihr auseinandergesetzt. Sich in einen Corona-Angst-Kokon und ganz im Privaten einzunisten, nur weil ein Teil der Gedanken verunsichern könnte, das geht auf Dauer nämlich nicht gut. Und nein, ich bin kein Verschwörungstheoretiker, sondern versuche, einfach nur mit kulturwissenschaftlichem Blick zu beobachten.

Und das, was ich auf dieser Basis befürchte, ist eine Katastrophe, die weit über die Corona-Pandemie hinausreicht. Nämlich die Abschaffung jedes demokratischen, kulturellen und insbesondere links-alternativen, subkulturellen Denkens, Handelns und Wirkens. Diese Destruktion ist vermutlich gar nicht primär geplant, also in Form einer Verschwörung, weil das auf Hegemonie basierende kapitalistische System eine solche überhaupt nicht mehr nötig hat. Sondern ganz einfach ein willkommener Kollateralschaden, sprich: ein Kollateralgewinn im Sinne der Hegemonialmacht, für die es ein Denken abseits der eingeschliffenen Seilschaften nicht mehr gibt und geben darf. Corona ist der zur Realität gewordene Traum aller Rechtspopulisten und neoliberalen Ideologen. Einfach mal alle Läden und kulturellen Einrichtungen über Wochen schließen – na, wer wird denn da wohl der große Verlierer sein? Freilich all die kleinen Kultureinrichtungen (und damit meine ich auch alternative Clubs, Ateliers, Buchhandlungen, Plattenläden, Second-Hand-Shops etc.), die von wenigen Aktivist*innen oder gar Einzelpersonen getragen werden und gerade deshalb oft Orte devianten, widerspenstigen Denkens sind. Und finanziell sowieso auf Kante genäht. Wird dementsprechend am Ende nur gerettet, was im Sinne des totalen Kapitalismus systemrelevant ist, werden solche Orte schlichtweg durch Passivität abgeschafft. Neue Gesetze, durchschaubare Etatkürzungen und Polizeieinsätze sind nicht mehr nötig, sie werden stillschweigend nebenbei ausgeblutet.

Dafür kann die Polizei nun in Parks und auf Spielplätzen einsetzt werden, um den Kindern und Jugendlichen, die sich dort entgegen allen Anweisungen anarchistisch zusammenrotten, von Anfang an beizubringen, was Sache ist, wer das Sagen hat. Eindrücklich erschreckende Bilder sind das, die die Berichte in der „bürgerlichen Presse“ teilweise begleiten. So erschreckend wie die tendenziell gleiche Ausrichtung dieser Medienberichte. Nein, damit will ich nicht in das Horn populistischer Medienschelte blasen. Aber ist es nicht furchtbar, welche Zeichen da zum einen gesetzt werden, zum anderen, wie wenig Widerspruch laut wird? Grundtenor ist: Also wenn die Menschen so unvernünftig sind, dann können ja nur noch Ausgangssperren verhängt werden. Kaum ein kritischer Gedanke irgendwo, Führer*innen-Hörigkeit aller Orten. Gegenstimmen, ein kritisches Abwägen, eine ernsthafte Diskussion? Fehlanzeige. Corona, deutsch: die Krone, herrscht und droht unhinterfragt.

Und die praktische Seite: nebulös. Gesetzt ist, die Kinder zu Hause zu behalten, dazuhin empfohlen ist Homeoffice, und nebenbei der Online-Unterricht der Schulkinder. Perfekt, kein Problem. Selbstverständlich arbeiten wir konzentriert in einer Zwei-Zimmer-Wohnung via Homeoffice während wir ein zweijähriges Kind betreuen, auch wenn mit einem solchen kaum ein ordentliches Telefonat alleine mit Freund*innen zu führen ist. Und selbstverständlich kann unser Internet jederzeit und überall gleichzeitig Homeoffice und eine Online-Lern-Plattform für alle bewältigen. Und selbstverständlich leben alle Kinder in einem sozialen Umfeld, in dem sie die bestmögliche elterliche Betreuung bekommen. Egal, irgendwie prügeln wir das Wissen und die Systemkonformität schon in sie rein. Aber ob das der sogenannten Herdenimmunität auch in virologischer Hinsicht nachhaltig und langfristig dient?

Ich bin entsetzt und fürchte das Schlimmste. Jedoch nicht wegen des Virus, der zumindest hinbekommen hat, was die Linke schon lange nicht mehr geschafft hat: Wenn dein starker Arm es will, stehen alle Räder still. (Voraussichtlich leider wenig nachhaltig im Hinblick auf Arbeitsrechte, einen weltweiten Grundlohn, Ökologie usw. etc.) Sondern wegen einer weiteren Zerstörung der Menschen- und Bürgerrechte, eines alternativen politischen, intellektuellen und vor allem grundsätzlich humanistischen Standpunkts, der vom Menschen ausgeht und nicht vom System, und somit des wirklichen sozialen Zusammenlebens – insbesondere in diesem Punkt bin ich gerne bereit, diese m.E. teils unglaublich verlogenen Aufrufe zur Corona-Solidarität zu diskutieren, z.B. bei Betrachtung der medialen Darstellung von „Fridays for Future“ als quasi demographisch kongruentem Gegenstück.

Aber: Zugleich ist das eine große Chance für einen alternativen Entwurf wirklicher, gelebter Solidarität und kultureller Pluralität. So oft meine ich sie wahrgenommen zu haben und wahrzunehmen, diese Resignation vieler kluger Menschen innerhalb des Kulturbetrieb, die mit ihrem Tun nichts anderes wollen, als einen positiven Impuls zurück in die Gesellschaft zu geben. Aber die Verhältnisse, sie sind nicht so, die ökonomischen Zwänge, und mach nur einen Plan und sei ein helles Licht… Kann das, soll das das letzte Wort gewesen sein? Wollen wir wirklich allen, die hämisch darauf lauern, gar aktiv dazu beitragen, dass sich jede kritische Alternativkultur atomisiert, das letzte Wort überlassen? Nein, das kann es doch wohl nicht gewesen sein. Also: Achtet nicht nur auf eure Gesundheit, seid bitte auch besonders aufmerksam im Hinblick auf unsere Kultur- und Zivilgesellschaft. Gerade weil es für deren Rettung wohl noch nicht mal einen Plan gibt, die Diskussion darüber deshalb umso notwendiger ist.

Und hier noch ein Buchtipp zur aktuellen Situation: Haus Bartleby (Hg.): Sag alles ab! Plädoyers für den lebenslangen Generalstreik, Edition Nautilus, Hamburg 2015

Und der Text als PDF: Markus_Baumgart_Corona_toetet_Kultur